Manfred Trojahn: „Orest“

In Schuld verstrickt

Manfred Trojahn hat eine neue Oper für die Nederlandse Opera Amsterdam komponiert: Orest, Musiktheater in sechs Szenen nach einem eigenen Libretto, wurde in Amsterdam in einer Inszenierung von Katie Mitchell uraufgeführt. Die musikalische Leitung hatte Marc Albrecht. „Ein Meisterwerk“ befand Eleonore Büning in der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: „So straff ist diese Musik gefügt, so gnadenlos logisch, so sirenenhaft unausweichlich hat Manfred Trojahn seinen Familienaufstellungssoundtrack komponiert […], dass keine Hintertür offenbleibt, aus der man sich nicht davonstehlen könnte.“

In Orest arbeitet Manfred Trojahn in einem eigenen Libretto den Mythos vom Muttermörder auf. Die zentralen Motive in der Version seines Musiktheaters liegen zunächst in seinem Interesse, „einen Grund für die Ereignisse zu finden, der (über die Abfolge von Tat und Rache hinaus, die sich ja durch alle Teile des Artriden-Mythos zieht,) einen Einblick vermitteln kann in die Voraussetzungen, die jene Handlungen auslösen, vor denen wir sprachlos stehen.“ Die Hauptfigur des Dramas, Orest, ist ein Leidender, der sich von der Göttermacht zu emanzipieren sucht, er vibriert, so Manfred Trojahn, zwischen Fremdbestimmung und der Vision von einem neuen Leben: „Er macht nur einen Fehler: er meint, er könne die Schuld hinter sich lassen – und er wird erst spät bemerken, dass er mit der Schuld zu leben hat, um sie zu überwinden.“ Drei weibliche Figuren, Elektra, Hermione und Helena verkörpern divergierende Charaktere. Die männliche Göttermacht tritt als ein Doppel auf, Apollo und Dionysos, die zwei Seiten einer Figur darstellen: der politische Zyniker und der sinnliche Verführer. Eine besondere Klammer bildet der musikalisch eindruckvolle Ausgangspunkt der Oper: ein Traumbild des in seiner Qual gefangenen Orest, eine Musik von sechs Frauenstimmen, zuweilen gekoppelt an sechs Soloviolinen, die klanglich den ganzen Zuschauerraum ausfüllen. „Ich habe vermieden, sie als Erynnien zu bezeichnen, denn ich denke eher an psychische Vorgänge ‚in’ Orest als an mythische Fabelwesen. Und sie sind auch die multiplizierte Stimme Klytaimnestras. Diese Musik kehrt immer zurück, wenn Orest von seinen Gewissensqualen erreicht wird.“ Der Schluss ist offen: „Ob Orest den Weg gefunden hat? Ich kann es nicht beantworten. Wie alle meine Opernhelden geht er am Schluss fort, ohne uns eine Antwort auf unsere Fragen zu geben.“

Das Medienecho stellt die Eindringlichkeit von Trojahns Musik in der Vordergrund: „…kurz, aber brennend intensiv“ fand Wolfram Goertz (DIE ZEIT 15.12.2011) das Musiktheater, „ein in jeder Beziehung anspruchsvolles und einnehmendes Bühnenwerk“ meinte Hans-Klaus Jungheinrich (Frankfurter Rundschau 12.12.2011) und Reinhard Brembeck resümierte: „Trojahn ist ein Meister der Stimmungen. Bedrohung, Beklemmung, Spannung, Hass, Ablehnung, Mordlust, Verachtung – für all diese im Alltag eher unangenehmen, auf der Bühne aber unverzichtbaren Elemente findet er den richtigen Tonfall.“ (Süddeutsche Zeitung 13.12.2011) Und schließlich „kombiniert Trojahn“ laut Gerhard R. Koch, „archaische Konflikte mit spätbürgerlicher Psychologie fast im Sinne einer psychiatrischen Versuchsanordnung. [Die Partitur] entfaltet ungeahnte Autonomie, umgibt den Hörer mit einer Fülle Innenraum stiftender orchestraler Aktionen von oft außerordentlicher Dichte und Farbigkeit, ab und an auch illustrativen, sogar tonalen Anspielungen. (Frankfurter Allgemeine Zeitung 12.12.2011)

Das Musiktheater erlebte seine deutsche Erstaufführung am Staatstheater Hannover am 8. Februar 2013.

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Foto: Manfred Trojahn, Orest
De Nederlandse Opera, Amsterdam 
Hermann & Clärchen Baus 

Details

Uraufführung: 8.12.2011 Amsterdam (De Nederlandse Opera), Musikal. Leitung: Marc Albrecht, Inszenierung: Katie Mitchell 

Personen: Orest (Bariton), Menelaos (Tenor), Apollon/Dyonisos (hoher Tenor), Hermione (Sopran), Helena (Sopran), Elektra (Mezzosopran) – 4 hohe und 4 tiefe Männerstimmen, 6 Frauenstimmen aus dem Hintergrund: 4 S, 2 A (+ 6 Violinen), über Lautsprecher in den Saal übertragen 

Orchester: 3 (2 Picc, Afl), 2, Eh, Heckelphon, 1, BKlar, 2, Kfag – 4,3,2, KbPos – Pk, Schlg (3) – 2 Hfe – Str. 

Verlag: Bärenreiter, Aufführungsmaterial leihweise – BA 9793

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