18.06.2019 09:42

Christoph Willibald Glucks „Antigono“ in Bayreuth

Für Rom schuf Gluck, „ein junger Mann von höchsten Fähigkeiten und feurigem Geist“, seine Oper „Antigono“. Im Juli kann man das mitreißende Bühnenstück in Bayreuth wieder hören. 

Als Christoph Willibald Gluck 1755/56 die Oper Antigono komponierte und in Rom zur Uraufführung brachte, hatte er bereits hinreichend unter Beweis gestellt, dass er das Handwerk des Opernkomponisten souverän beherrschte – zuletzt 1752 in Neapel durch den Erfolg seiner Oper La clemenza di Tito, die weit über Neapel hinaus für Aufsehen sorgte und Gluck neue Perspektiven eröffnete. Dazu zählt ein Kompositionsauftrag für Rom, an dessen Zustandekommen gleich mehrere hochgestellte Persönlichkeiten beteiligt waren. 

In Rom und im ganzen Kirchenstaat galten für die Oper besondere aufführungspraktische Bedingungen. Da ein päpstlicher Erlass Frauen den Zutritt zur Bühne grundsätzlich untersagte, mussten bei Opernproduktionen auch die weiblichen Partien mit Kastraten besetzt werden, so auch bei Antigono: Das Ensemble der Uraufführung am 9. Februar 1756 bestand aus einem Tenor in der Titelpartie sowie vier Sopran- und einem Altkastraten. Die Premiere selbst war in Rom mit großer Spannung erwartet worden. Bewusst hatte die Impresa des Teatro Argentina mit Antigono ein beliebtes Drama Metastasios gewählt, das in dessen Geburtsstadt bislang noch nicht gespielt worden war. Mit der Vertonung beauftragte man Gluck, „einen jungen Mann von höchsten Fähigkeiten und feurigem Geist“, so der Impresario Carlo Mattei, der nach einer Serie von Misserfolgen unter großem Erwartungsdruck stand. Dass der erhoffte Sensationserfolg dennoch ausblieb, ist wohl vor allem auf die allgemeine Stimmungslage, die Leistungen eines insgesamt mittelmäßigen Sängerensembles und bühnentechnische Mängel zurückzuführen. 

Die Handlung der Oper folgt gängigen dramaturgischen Konventionen der metastasianischen Opera seria. Ein Stoff aus der antiken Geschichte – kriegerische Auseinandersetzungen zwischen Antigonos II. Gonatas und Alexander II. von Epirus im dritten Jahrhundert v. Chr. – bilden den Hintergrund eines komplizierten Handlungsgeflechts rund um ein junges Liebespaar nobler Abstammung. Die ägyptische Prinzessin Berenice, Verlobte des mazedonischen Königs Antigono, jedoch heftig umworben von dessen Widersacher Alessandro von Epirus, liebt heimlich Demetrio, den Sohn des Antigono, der diese Gefühle erwidert. Beide geraten in den Strudel politischer Verwicklungen, konkurrierender Machtinteressen und raffiniert gesponnener Intrigen, bevor ein für die Gattung obligatorisches Happy End die Liebenden schließlich zusammenführt. 

Glucks Musik besteht, wie durch die Textvorlage vorgegeben, fast ausschließlich aus Arien. Nur am Schluss des zweiten Aktes finden sich Demetrio und Berenice zu einem Duett zusammen, und im dritten Akt komponiert Gluck mit der „Scena di Berenice“ einen großen, konstrastreich gearbeiteten szenisch-musikalischen Komplex aus Accompagnato-Rezitativ (dem einzigen in der Oper), Arioso und einer abschließenden dramatisch durchgestalteten Arie. 

Wie viele andere Werke des kurzlebigen italienischen Opernbetriebs im 18. Jahrhundert verschwand auch Glucks Antigono nach wenigen Vorstellungen vom Spielplan und geriet dann in Vergessenheit. Dass manches Stück heute dennoch vertraut klingt, ist darauf zurückzuführen, dass Gluck rund ein Drittel der Nummern aus eigenen früheren Werken entlehnt und einige Stücke auch in spätere Kompositionen übernommen hat. Aus Demetrios Arie „Già che morir degg’io“ etwa wird sechs Jahre später Orfeos „Che puro Ciel“ in Glucks erster „Reformoper“ Orfeo ed Euridice, während Berenices hochexpressive Arie „Perché, se tanti siete“ 1779 in Paris als Iphigénies Air „Je t’implore et je tremble“ in Iphigénie en Tauride erneut erklingen wird. Doch es sind nicht nur diese gleichsam zeitlosen musikalischen Glanzstücke, die Antigono auch für die zeitgenössische Opernbühne attraktiv machen. Vielmehr besticht das Werk insgesamt durch die mitreißende Gestaltung dramatischer Konflikte und Leidenschaften und die große stilistische Bandbreite bei den Arien, die von lyrisch-kantabel bis zu virtuos-hochdramatisch reicht – ein eindrucksvolles Panorama der facettenreichen Gesangskunst der italienische Oper des 18. Jahrhunderts. 

Irene Brandenburg (aus „[t]akte“ 1/2019)